In vielen Unternehmen gelten übergreifende, sogenannte Ende-zu-Ende-Prozesse in BPMN noch immer als Königsweg der Prozessoptimierung. Schließlich versprechen sie Transparenz, Standardisierung und Effizienz über Abteilungs- und Teamgrenzen hinweg. Doch diese Herangehensweise hat ihren Preis – sie führt zu Kopplung. Und Kopplung ist Gift für jede skalierende Organisation.
Ein übergreifender BPMN-Prozess beschreibt oft nicht nur den “Happy Path”, sondern auch detaillierte Entscheidungen und Abläufe, die eigentlich innerhalb einzelner Teams stattfinden sollten. Das Problem: Sobald zentrale Prozesse diese Details festlegen, greifen sie tief in die Arbeitsweise autonomer Teams ein. Das Resultat ist organisatorische Kopplung: Teams sind können innerhalb ihrer Grenzen nicht selbst Veränderungen und Optimierungen vornehmen.
Die Erkenntnisse aus Team Topologies liefern hier wertvolle Impulse. Dort wird beschrieben, dass Software- und Organisationsarchitektur Hand in Hand gehen müssen.
💡 Das Buch zu Team Topologies bietet eine ausführliche Einführung in das Thema. Dort erwarten Dich viele weitere spannende Themen wie Conway’s Law, Team Types und Interaction Modes!
Ein zentrales Konzept dabei: Fracture Planes – natürliche Bruchlinien, entlang derer man ein System sinnvoll aufteilen kann. Dazu zählen z. B. Domänen (Bounded Contexts), Compliance-Anforderungen oder Veränderungen in der Technologie.
Ein übergreifender Prozess, der die interne Logik mehrerer Teams orchestriert, verletzt diese Bruchlinien. Er erzeugt implizite Abhängigkeiten zwischen Teams, die eigentlich entlang dieser Fracture Planes getrennt sein sollten – zum Beispiel entlang von Bounded Contexts in DDD (Domain Driven Design). Die Folge: Fehlende Flexibilität, lange Abstimmungszyklen und eine Organisation, die schlecht auf Veränderungen reagieren kann.
💡 Wer mit Domain Driven Design und dem Konzept des Bounded Contexts noch nicht vertraut ist, bekommt in diesem Video einen kompakten Überblick über das Thema: https://www.youtube.com/watch?v=4rhzdZIDX_k
Conway’s Law sagt: „Any organization that designs a system will produce a design whose structure is a copy of the organization’s communication structure.“ Will heißen: Wenn Teams stark gekoppelt arbeiten müssen, spiegeln sich diese Abhängigkeiten früher oder später auch in der Software wider – in Form von Monolithen, komplexer Prozesslogik und fehlender Modularität.
Ein BPMN-Prozess, der Entscheidungen über mehrere Teams hinweg trifft, widerspricht also nicht nur dem Gedanken von Teamautonomie, sondern auch den Prinzipien von skalierbarer, dezentraler Architektur.
Statt übergreifende Prozesse zentral zu orchestrieren, braucht es einen Paradigmenwechsel:
Schauen wir uns dazu einen vereinfachten Order-Fulfillment-Prozess an. Um das Beispiel greifbarer zu machen, konzentrieren wir uns dabei speziell auf den Bezahlvorgang innerhalb des Gesamtprozesses. Gerade hier zeigt sich besonders deutlich, wie eine zentrale Orchestrierung schnell zu unerwünschter Kopplung zwischen Teams und Domänen führen kann – und wie man dies durch saubere Abgrenzung entlang von Fracture Planes vermeiden kann.
Viele Prozessmanager:innen in Organisationen streben übergreifende Abläufe an, die in Prozessen enden, die wie folgt aussehen:
Der Order-Fulfillment-Prozess orchestriert unter anderem direkt den Bezahlvorgang. Das Prozessmodell legt fest, wann und wie bezahlt wird – inklusive aller Fehlerbehandlungen, Rückmeldungen und Eskalationen.
Die ist aus mehreren Gründen problematisch:
Diese Form der zentralen Prozesssteuerung ignoriert die natürlichen Fracture Planes zwischen Order und Payment – z. B. unterschiedliche Verantwortlichkeiten, rechtliche Anforderungen, Release-Zyklen, usw.
In der entkoppelten Version respektieren wir den Fracture Plan. Der Order-Prozess orchestriert nicht mehr, sondern kommuniziert über klare Schnittstellen:
Was sich verbessert:
Der Order-Prozess kann weiterhin in der Verantwortung eines Teams bleiben – ohne dass dieses Team die fachlichen Details anderer Domänen mitverantworten muss.
Übergreifende BPMN-Prozesse sind ein Relikt aus Zeiten zentraler Steuerung und Kontrolle. In modernen, teamzentrierten Organisationen mit klaren Fracture Planes und Bounded Contexts sollten Prozesse entlang der Teamgrenzen geschnitten werden – nicht darüber hinweg.
Die Zukunft gehört leichtgewichtiger Koordination, klaren Schnittstellen und dezentraler Entscheidungsfindung. Nur so entsteht eine Organisation, die wirklich beweglich, skalierbar und anpassungsfähig ist.
Rechtliches